Schutz der Brutgebiete sichert dem gefährdeten Schreiadler das Überleben
Hamburg, 6. März 2018. Achtung, Adler im Anflug! Auf eines ist doch wenigstens Verlass: Jedes Jahr im März durchqueren die Schreiadler den afrikanischen Kontinent von Süd nach Nord, um Anfang April ihre Brutgebiete in Deutschland zu erreichen. Die meisten von ihnen fliegen sogar noch weiter, vor allem ins Baltikum, wo die meisten Schreiadler brüten. Die standorttreuen Greifvögel folgen in den kommenden Wochen der immer gleichen Zugroute: Aus dem Süden Afrikas nach Norden entlang des ostafrikanischen Grabens, über den Suezkanal und weiter entlang der Küstenlinie Israels, des Libanons und der Türkei über den Bosporus nach Europa. Wer den 10.000 km langen und gefahrvollen Zug der kleinsten in Deutschland brütenden Adlerart mitverfolgen möchte, kann dies auf mehreren internationalen Internetseiten tun.
Kaum im angestammten Brutgebiet angekommen, stehen Hochzeit und Eigenheimsanierung auf der ToDo-Liste des Schreiadlers. Das ist ein anspruchsvolles Unterfangen. „Seinen Horst baut der Schreiadler nur in sehr dichten Wäldern. Hat sich seit seinem Abflug im September das Umfeld stark verändert, fackelt er nicht lange und verschwindet“, erklärt Dr. Andreas Kinser von der Deutschen Wildtier Stiftung. Durch intensive Land- und Forstwirtschaft und Windkraftanlagen in Horstnähe werden leider immer wieder bisher geeignete Brutgebiete zerstört. „Jedes Jahr müssen einige Schreiadlerpaare in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg ihr angestammtes Brutgebiet aufgeben, weil sich der Lebensraum dort stark verschlechtert hat“, so Kinser.
Doch es gibt auch gute Nachrichten: In den letzten zwei Jahren wurden in Mecklenburg-Vorpommern etwa 20 neue Ansiedlungen festgestellt. Dabei wurden entweder zwischenzeitlich aufgegebene Brutgebiete wiederbesiedelt oder aber neue Lebensräume erschlossen. Allerdings ist das keine Entwarnung: „Wir beurteilen die Neunsiedlungen vorsichtig und müssen abwarten, ob sich daraus stabile Brutpaare für die Zukunft entwickeln“, sagt Dr. Wolfgang Scheller, der in Mecklenburg-Vorpommern die Zählungen des Schreiadlers koordiniert. „Die Gefahr, dass neubesiedelte Lebensräume nach kurzer Zeit wieder aufgegeben werden, ist groß“, so Scheller weiter. In den meisten Brutgebieten beobachten die Ornithologen eher eine weitere Verschlechterung der Lebensbedingungen. Um einen echten Trendwechsel für den Schreiadler herbeizuführen, bedarf es daher mehr als vereinzelter Schutzprojekte. „Wirklich substanzielle Veränderungen für die Artenvielfalt in unseren Landschaften werden erst gelingen, wenn Landwirte und Förster mit Natur- und Artenschutz ein Einkommen erzielen können“, so Andreas Kinser. Die aktuell anstehenden Verhandlungen zur Neugestaltung der Agrarpolitik der Europäischen Union bieten dazu die beste Gelegenheit.