Ein junger Schreiadler aus dem aktuellen Jungvogelmangement-Projekt in Brandenburg hat den Winter 2019 auf Sizilien verbracht. Es handelt sich um ein Zweitjunges („Abel“), welches im Frühjahr 2018 dem Horst entnommen wurde, weil zweitgeborene Schreiadler im eigenen Horst aufgrund des sog. „Kainismus“ praktisch keine Überlebenschance haben. Die Weltarbeitsgruppe Greifvögel & Eulen engagiert sich bereits seit 2004 um die Bestandsstützung des in Deutschland stark bedrohten Schreiadlers durch das Jungvogelmanagement, die Deutsche Wildtier Stiftung hat von 2006 bis 2011 ein gleichnamiges Projekt mit Förderung durch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt umgesetzt.
Der junge Adler wurde in Gefangenschaft aufgezogen, wobei größter Wert darauf gelegt wurde, dass der Vogel nicht auf Menschen geprägt wird, also jede mögliche Assoziation mit dem Menschen als Ernährer wurde streng vermieden. Der Adler flog dann zusammen mit anderen deutschen und aus Polen stammenden Zweitjungen in der Auswilderungsstation in Brandenburg aus, hatte aber offenbar keinen ausreichenden Kontakt zu erfahrenen älteren Tieren, um die optimale Route über den Bosporus zu erlernen.
Für junge Großgreifvögel, wie Schreiadler, Schlangenadler, Schmutzgeier usw. stellt das Mittelmeer und das Schwarze Meer eine sehr gefährliche ökologische Barriere dar. Sie müssen offensichtlich von fremden Altvögeln – sie ziehen nicht mir ihren eigenen Eltern – die sichere Route insbesondere über den Bosporus erlernen. Die Zugrichtung ist offensichtlich nur sehr grob angeboren und führt zu hohen Verlusten, auch bei den aus den Horsten ausfliegenden Adlern, durch Ertrinken im Meer.
Statt in Richtung Bosporus zog der junge Adler über die Alpen und gelangte schließlich nach Sizilien. Dort flog er zunächst an der Südküste ständig hin und her und auch auf vorgelagerte Inseln. Er hatte ganz offensichtlich das Bestreben nach Tunesien zu fliegen oder über Malta nach Nordafrika. Mehrfach flog er einige Kilometer auf das Meer hinaus, drehte dann aber um. In einem Falle machte er einen großen Überflug über das Mittelmehr von der Westspitze Siziliens aus, drehte aber nur wenig westlich der Insel schnell nach Norden und Osten ab und gelangte nach einem weiten Überflug weit nördlich von Sizilien auf das Festland von Italien, begab sich von da aus aber wieder zurück nach Sizilien. Erst wesentlich später gab er offensichtlich den Mittelmeerüberflug auf und hielt sich mehr im inland auf.
Alle Versuche, den Adler vor Ort zu beobachten, blieben ohne Erfolg. Dazu bewegte er sich viel zu schnell und weiträumig. Allerdings konnte ein zweiter Schreiadler ein mal beobachtet werden ohne Altersbestimmung. Der Adler hat einen kleinen Sender mit extrem hoher Sendeleistung. Meist war der Akku so gut aufgeladen, dass es eine GPS-Ortung pro Sekunde gab (einschließlich Flughöhe, Geschwindigkeit, Aktivitätsdaten usw.).
Übrigens nahmen drei der aus Polen stammenden Jungadler – es konnten leider nicht alle besendert werden – die optimale Route zum Bosporus, zunächst in SE-Richtung abziehend bis in die Westukraien, wo sie nach Süden abdrehen. Alle drei polnischen Adler erreichten die Überwinterungsgebiete im südlichen Afrika.
Dieser Gastbeitrag stammt von Bernd-Ulrich Meyburg (Weltarbeitsgruppe für Greifvögel und Eulen e.V.)
Herzlichen DANK!